Fritz Schütz, Ein Beitrag zur Heimatgeschichte - Die kirchliche Versorgung der Schweizerkolonie, in: Preußisch-Litauische Zeitung, Nr. 45, 120. Jg., Gumbinnen Sonntag, den 22.2.1931.

Durch die königlichen Patente waren den einwandernden Kolonisten nicht nur die Bestreitung von Scharwerksdiensten und sonstigen Lasten, sondern vor allem freie Ausübung ihrer religiösen Tätigkeit, sowie die Erbauung reformierter Kirchen und die Stellung von Predigern zugesagt worden. Die Kenntnis von der kirchlichen Versorgung der Schweizerkolonie, die bekanntlich nicht nur die Schweizer selbst, sondern auch diejenigen Kolonisten aus der Pfalz, Hessen-Nassau, Uckermark etc. umfasste, die es verstanden hatten, sich die den Schweizern zustehenden Privilegien zu sichern, und verwaltungsmäßig unter der Bezeichnung "Schweizerkolonie" zusammengefasst waren, ist heute noch ziemlich gering. So schreibt G. Tobler, in einem sehr beachtlichen Artikel über die "Schweizerkolonie in Ostpreußen" im Anzeiger für Schweiz. Geschichte Bd. 27: "wie es mit der kirchlichen Funktionen steht, wissen wir nicht". Dieser Umstand ist wohl darauf zurückzuführen, dass man sich bis dato nicht um das außerordentlich reichliche Material der glücklicherweise im wesentlichen erhaltenen Kirchenbücher in Sadweitschen, Judtschen und Gumbinnen gekümmert hat. Auch Beheim-Schwarzach scheint diese nicht zu kennen, sondern wäre das Vorkommen der vielen Falschschreibungen nicht zu erklären. Darin wird nun hoffentlich bald eine Besserung eintreten, wenn die im Manuskript fertig vorliegenden "Kirchenbücher der Schweizerkolonie" der Öffentlichkeit übergeben werden können.

Die Deutsch-Schweizerische Reformierte Gemeinde in Sadweitschen.

Diese Kirche wurde etwa 1714 in Sadweitschen erbaut, sie war eine sogen. Kirchenscheune, deren Bauausführung gleich im ersten Jahrzehnt derartige Mängel aufwies, dass sie einzustürzen drohte und die Kolonisten wiederholt zu lebhaften Klagen Anlass nahmen. Der erste Prediger in Sadweitschen war Heinrich Wasmuth. Gemeinsam mit dem französisch-schweizerischen Kolonisten erreichten die Sadweitscher deutschschweizerischen endlich vom König 1731, gelegentlich seines Besuches in Gumbinnen, den völligen Neubau einer reformierten Kirche in Gumbinnen, die 1736 begannen, in Gegenwart des Königs 1739 feierlich eingeweiht wurde. Mit diesem Augenblick wurde die Sadweitscher Gemeinde mit der Gumbinner reformierten Gemeinde verschmolzen und zwar so, dass die Benutzung der Kirche der deutsch-reformierten und der französisch-reformierten Gemeinde partitätisch zustand. Nach einer anfänglichen etwas schwierigen Regelung des Gottesdienstes wurde er für die Folge so gehandhabt, dass vormittags die französische und nachmittags die deutsche Gemeinde Gottesdienst abhielten. Von der Deutsch-Schweizerischen Kirchengemeinde in Sadweitschen sind uns noch erhalten das Taufregister und das Sterberegister. Die Eintragungen lassen erkennen, dass die Schreibung zwischen deutschen und französischen Schweizerkolonisten nicht so scharf durchgeführt worden ist, denn es sind eine beträchtliche Anzahl französische Schweizer wenn auch z. T. unter erbärmlich verstümmelten Namen darunter. Allem Anschein nach war die Zugehörigkeit zur Sadweitscher Kirche auch abhängig von der Entfernung, die doch zuweilen recht beträchtlich war, und Asphaltstraßen hatte man noch nicht. Besonderes Interesse beansprucht in den Sadweitschen Kirchenbücher der in Preußischen tätig gewesene sogen. "Schweizerdoktor" Joachim Legler, der mit dem Burggrafen Alexander zu Dohna und dem Schweizerinspektor Lacarriere in Judtschen das Dreigestirn bildete, das sich um das Wohl der Schweizerkolonie außerordentliche Verdienste erworben hat. Sein Geburtsort war bis heute unbekannt. Mit dankenswerter Hilfe des Kantonarchivs in Glarus ist für sicher zu halten, dass er aus Diesbach im Kanton Glarus stammte, von wo er mit seinem Bruder Rysch in Pruszischken landete. Auch sein Sterbetag war bisher unbekannt, ich habe ihn im Sadweitscher Sterberegister feststellen können. Joachim Legler kam 1712 als Begleiter eines Zuges Schweizer in Ostpreußen an, nach unsäglichen Schwierigkeiten, nach entsetzlichem Kampf mit Krankheit und Entbehrungen, die Legler aber immer wieder für seine Weggenossen zu überwinden verstand. Er gelangte nach Pruszischken und blieb dort mitten unter seinen Landsleuten. Für die Folge betätigte er sich nicht nur als Arzt, sondern als Landwirt, da auch ihm Land zugeteilt war. Vor allem widmete er sich dem Wohlergehen seiner Landsleute, die in den völlig fremden Verhältnissen doch recht viel auszuhalten hatten. Sein nicht unbedeutendes Vermögen war durch seine ständige Hilfsbereitschaft zusammengeschmolzen, so dass es ihm im Alter von 66 Jahren (eingewandert war er mit 46 Jahren) recht schlecht ging. Dies kam besonders zum Ausdruck, als ihm durch den Landphysikus Dr. Gottsched, dem Bruder des Dichters, die Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit untersagt wurde, offenbar weil er in Preußen damals vorgeschriebenen Examina nicht nachweisen konnte. Dies führte zu einem schweren Konflikt, in dem seine Landsleute durch wiederholte Eingaben an den König um Aufhebung des Verbotes eingriffen, das endlich den Erfolg hatte, dass Legler unbehelligt blieb. Meine Umfrage bei den in Betracht kommenden medizinischen Schweizer Universitäten konnte den Nachweis seines medizinischen Studiums nicht erbringen, doch müssen seine ärztlichen Kenntnisse, wir er sie auch erworben haben mag, so bedeutend gewesen sein, dass außer den offenkundigen Bezeugungen seiner Landsleute, er bei einem militärischen Kommando von 500 Mann zur Regulierung der Pissa in Szirgupönen das Zeugnis eines ausgezeichneten Arztes erhielt. Es steht jedenfalls fest, dass er sich einer außerordentlichen Liebe und Verehrung erfreute. Sein Grab ist unbekannt verschwunden und kein Denkmal aus Stein ehrt das Andenken an diesen vortrefflichen Mann. Und doch kann es kein schöneres Denkmal geben, wie die schlichte Eintragung in das Sadweitscher Sterberegister: Es starb am 9. Oktober 1744 "der alte schweizer Doctor, 84 Jahre alt." Ich muss nochmals auf die Kirche in Sadweitschen zurückkommen. Bei der Vereinigung mit der Kirche in Gumbinnen wurde das Sadweitscher Gebäude abgebrochen und verwendbares vermutlich in der Gumbinner Kirche verbaut. Dass "zwei lange Kirchenbänke" urkundlich dem historischen Krug in Sadweitschen übermacht sein sollen, ist ein Märchen. Bei der in Fragen kommenden Urkunde handelt es sich um den Kaufkontrakt des Rittmeisters von Falck über den Krug zu Sadweitschen, in welchem gesagt ist, "dass er alles was erd-, niet- und nagelfest ist", dazulassen hat, an Inventarienstücken aber nichts mehr als einen langen Tisch nebst denen dazu gehörenden Banken. Diese Urkunde ist von 1726, also aus einer Zeit, in der noch niemand an die Auflösung der Sadweitscher Kirche gedacht hat. Und dann soll in jener tief religiösen Zeit dieses Geschenk ausgerechnet an einen Krug erfolgt sein?

Die Französisch-Schweizerische Reformierte Kirchengemeinde in Gumbinnen

Sie umfasste die französisch sprechenden Schweizerkolonisten aus der Stadt und näheren Umgebung, soweit sie nicht der Entfernung wegen sich unter der Führung schweizerischer Schulhalter zur ländlichen kirchlichen Vereinigungen zusammengefunden hatten. Vor Erbauung der Kirche wurde der Gottesdienst in der Vorhoffschen Brauerei abgehalten, die einen ziemlich bequemen Saal hatte, nachdem dieses Gebäude durch Brand zerstört war, verlegte man den Gottesdienst in die Behausung des Grobschmieds Bergh. Das mächtige Anwachsen der Gemeinde machte die seitherigen Zustände unhaltbar. Die neu gebaute reformierte Kirche in Gumbinnen bot jetzt ausreichende Unterkunft für die Deutsch-Reformierte und die Französisch-Schweizerische Reformierte Gemeinde. Die letztere erhielt ihren ersten Geistlichen in der Person des Predigers Jean Pierre Remy, eines Franzosen (1731-1736), als zweiten Jean Jaques Andouy (1738-1768), ebenfalls einen Franzosen, die späteren Prediger waren Deutsche. Die Kirchenbücher sind noch vorhanden, zwei Bände Taufregister und 1 Band Trauregister von 1731-1808, sowie das Sterberegister von 1786 an. Die Kirchenbücher sind nahezu bis zur Auflösung der franz.-schweiz. Gemeinde 1808 in französischer Sprache geführt.

Die Reformierte Kirche in Judtschen

Schon 1710 fanden sich in der Judtscher Gegend die ersten Schweizer ein, so dass sich schon 1714 die Einstellung eines französischen Geistlichen, des David Clarene notwendig machte. Dieser Prediger verstand kein Wort deutsch, so dass sich sehr bald Konflikte mit den inzwischen in größerer Menge angezogener deutschen Kolonisten, die wiederum kein Französisch verstanden, erhoben. Dies führte zu scharfen beschwerden, die damit endeten, dass Prediger Clarene 1729 durch den deutschen Prediger Daniel Andersch ersetzt wurde, der wiederum kein Französisch verstand. Außerdem zeigte er den französischen Kolonisten etwas die kalte Schulter "er sei als deutscher Prediger berufen und die Franzosen möchte sich der deutschen Sprache befleißigen." Dies zog ihm einen ziemlichen Verweis zu, und ist festzustellen, dass sich die Sprachkenntnisse des Predigers Andersch und somit sein Verhältnis zur Gemeinde wesentlich gebessert haben. Der Prediger Clarene hat die Eintragungen der deutschen Familien- und Ortsnamen in grausamer Weise verstümmelt, manchmal bis zur Unverständlichkeit, ebenso war es mit den Eintragungen der französischen Orts- und Familiennamen durch Pfarrer Andersch. Die Kirchenbücher der Gemeinde Judtschen sind vollständig erhalten und dadurch äußerst wertvoll, dass nicht nur den Herkunftsort des Eingewanderten selbst, sondern auch noch seine Eltern angegeben sind. Auch steht bei den meisten die Angabe des Berufes. Besonders wertvoll sind sie noch dadurch, dass die beiden größten Geister der damaligen Zeit als Taufzeugen eingetragen sind, und zwar der König Friedrich der Große und Immanuel Kant. Immanuel Kant soll mehrere Jahre bei Herrn Prediger Andersch Hauslehrer gewesen sein, er selbst sagt in seinen Schriften nichts davon. Er ist zweimal als Taufzeuge eingetragen; eine Eintragung möge hier abgedruckt werde: Am 27. Oktober 1748 lässt taufen der Schulmeister Jacob Challet aus Judtschen sein Söhnlein mit dem Namen Samuel. Die Mutter heißt Catharina Blattin (Belat). Die Taufzeugen sind gewesen Immanuel Kant, Studiosus Philosophiä, und die Frau Prediger Andersch in Judtschen. Ob Immanuel Kant noch verwandtschaftliche Bande an die Judtscher Gegend geknüpft haben, ist nicht ohne weiteres festzustellen. Jedenfalls findet sich im Taufregister eine Anne Ephrasine Kantin, 1731, die einen Johann Caspar Gehler, a.a.O. Kehler, heiratet und im Taufregister 1732 dieselbe nochmals, mit dem Zusatz "aus Stallupönen", der Vater derselben ein David Kant. Noch nicht ganz durchgeführte Nachforschungen freundlichst behilflicher Seite haben bis jetzt ergeben, dass in Stallupönen im Jahre 1703 ein David Kandt, Schotte und Paudelkrämer gelebt hat. Da Kant seinen Ursprung auf Schottland zurückführte, ist eine Verwandtschaft nicht ausgeschlossen. Ob Immanuel Kant die Zeit seines Aufenthaltes in Judtschen (ca. 3 Jahre) benutzt hat, auch einmal die benachbarte Stadt aufzusuchen und mit seinem Geist zu durchdringen, wird bestritten, gemeint ist, damit natürlich nicht Gumbinnen, sondern die andere Nachbarstadt.